Kapitel K

Gewalt

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Gewalt

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Resümee

Gewalt gegen Frauen ist Ausdruck patriarchaler Strukturen und erfolgt in erster Linie durch den männlichen Partner und durch andere männliche Familienmitglieder. Das lässt sich anhand der Klient*innenstruktur der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie ebenso wie des 24-Stunden Frauennotrufs der Stadt Wien nachzeichnen. 2020 wurden 75% der von der Interventionsstelle Wien (mehrheitlich nach einem Betretungsverbot) betreuten Frauen von einem (früheren) Partner gefährdet, und im 24-Stunden Frauennotruf, der nicht proaktiv auf Klientinnen zugeht, stellen ebenfalls (frühere) Partner*innen (67%) die größte Täter*innengruppe.

Betrachtet man die häufigsten Gewaltformen bei Partnergewalt – nämlich Körperverletzungen, gefährliche Drohungen und fortgesetzte Gewaltausübung –, so zeigt sich, dass zwar Anzeigen wegen Körperverletzung seit 2012 zurückgegangen sind, sich der Frauenanteil an den Opfern aber in diesem Zeitraum fast verdoppelt hat. Strafanzeigen wegen gefährlicher Drohung und insbesondere wegen fortgesetzter Gewaltausübung haben dagegen seit 2012 kontinuierlich zugenommen, hier hat sich der Anteil der viktimisierten Frauen aber verringert. Einen leichten Rückgang gibt es auch bei der Betroffenheit von Frauen durch Stalking. Dem entspricht, dass Frauen zunehmend als Täter*innen wegen Stalking verurteilt werden (15%), aber nur selten für die Begehung von Delikten gegen Leib und Leben (9%) und insbesondere wegen fortgesetzter Gewaltausübung (2%).

In den vergangenen Jahren sind Morde an Frauen und Mädchen österreichweit in den politischen und gesellschaftlichen Fokus geraten, und zwar nicht nur wegen ihrer dramatischen Zunahme, sondern insbesondere, weil es sich dabei mehrheitlich um Femizide handelt. Auf eine längere stabile Phase mit geringen Fluktuationen zu Beginn der 2010-er Jahre und einen deutlichen Rückgang im Jahr 2014 erfolgte wieder ein Anstieg, und seit 2017 gibt es jährlich deutlich mehr Morde und Mordversuche als zu Beginn des Jahrzehnts. Von 2015 bis 2019 hat sich die Zahl der angezeigten Morde und Mordversuche mit weiblichen Opfern in Wien fast verdreifacht (von 15 auf 41 Anzeigen), 2020 erfolgte ein Rückgang auf 29, aber auch dieser Wert liegt deutlich über denen der Jahre 2012 (19) und 2015 (15).

Sexuelle Gewalt, vor allem Vergewaltigung, betrifft fast ausschließlich Frauen, Täter*innen sind fast ausschließlich Männer, und zwar in erster Linie Personen, mit denen das Opfer in einem Bekanntschaftsverhältnis steht. Dem Opfer nicht bekannte Personen, sogenannte Fremdtäter*innen, spielen bei Vergewaltigungen kaum eine Rolle, häufiger bei geschlechtlicher Nötigung und dem Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person. Strafanzeigen wegen Vergewaltigung und geschlechtlicher Nötigung sind verglichen mit 2012 zurückgegangen, dagegen ist die Zahl der Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person gestiegen.

Dieser Überblick ausgewählte Delikte betreffend macht deutlich, dass sich seit den Erhebungen für den ersten Wiener Gleichstellungsmonitor 2012 trotz Schwankungen keine klare Tendenz einer Verringerung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ablesen lässt. Im Gegenteil, es gibt eine Zunahme bei Morden bzw. Mordversuchen, bei denen bis 2019 ein kontinuierlicher Anstieg erfolgte. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die hier präsentierten Daten auf der polizeilichen Anzeigenstatistik basieren, gerade in Partner*innenschaften und anderen Nahebeziehungen aber häufig auf eine Anzeige verzichtet wird und daher ein großes Dunkelfeld besteht. Zudem sind bei einer Analyse von Daten aus dem Jahr 2020 die Auswirkungen von Covid-19 bzw. der mehrfachen Lockdowns insbesondere auf Kontrollbeziehungen zu bedenken. So lässt sich vermuten, dass der Rückgang bei Morden und Mordversuchen von 2019 zu 2020 ein Effekt der Ausgangsbeschränkungen ist: Da eine Kontrolle der Partnerin rund um die Uhr möglich war, gab es weniger Anlass für eine Eskalation der Gewalt.

Klare Auswirkungen zeigte Covid-19 auch auf die Nutzung von Unterstützungseinrichtungen, was insbesondere beim 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien deutlich wird. 2020 kam es verglichen mit dem Vorjahr zu einer Zunahme der durchschnittlichen Beratungskontakte pro Tag von 27 auf 35, und zwar in erster Linie bei den Emailkontakten [Anm. 5]. Auch die Wiener Frauenhäuser verzeichneten eine stärkere Nutzung ihres Notrufs, gleichzeitig aber ein Minus sowohl bei der Zahl der betreuten Personen als auch der Aufenthaltstage.

Bei der Wiener Interventionsstelle blieb die Zahl der Klient*innen trotz Covid-19 stabil, und dies, obwohl die Zahl der Betretungs- und Annäherungsverbote pro 10.000 Einwohner*innen von 19 (2012) auf 17 zurückgegangen ist. Ebenfalls keine Auswirkungen hatte die Pandemie auf die Tätigkeit von Orient Express, der Verein betreute gleich viele Klientinnen wie 2015.

Positiv stechen bei diesem Überblick über die Gewaltbetroffenheit von Mädchen und Frauen die Ergebnisse der HBSC-Studie über Gewalt in Schulen heraus: In der Zeitspanne zwischen 2009/10 und 2018 haben sowohl Schikanen als auch körperliche Gewalt deutlich abgenommen. Da Burschen seit jeher als Täter wie als Opfer stärker involviert sind, ist der Rückgang von Gewalt bei ihnen besonders auffallend, er ist aber auch bei Mädchen erkennbar.

Die Stadt Wien verfolgt vier Gleichstellungsziele in Zusammenhang mit Gewalt gegen Mädchen und Frauen und strebt dabei das langfristige Reduzieren von Gewalt ebenso wie das Sichtbarmachen an. Letzteres wird erfolgreich realisiert, nicht zuletzt durch den regelmäßig erarbeiteten Gleichstellungsmonitor, womit auch eine wesentliche Forderung der Istanbul-Konvention umgesetzt wird. Ein nachhaltiger Rückgang von Gewalt gegen Frauen und Mädchen kann aber nur durch ein gesamtgesellschaftliches Umdenken in Richtung Partner*innenschaftlichkeit erreicht werden.

Das vierte Gleichstellungsziel, der Aufbau von Gender-Kompetenz im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt bei allen relevanten Akteurinnen und Akteuren, wurde nicht operationalisiert und keine Indikatoren dafür entwickelt. Es geht dabei um die Vermittlung eines Grundwissens über Geschlechterverhältnisse und Ungleichheit als Basis für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung in Richtung Gleichstellung und Geschlechterdemokratie, aber auch um entsprechende Kompetenzen im beruflichen Alltag etwa von Polizei und Justiz.