Deskriptiv-quantitative Repräsentation von Frauen in Wien
Frauen sind in Wien heute sowohl im Gemeinderat wie auch in den Bezirksvertretungen deutlich stärker präsent als noch vor 20 Jahren. Insbesondere die FPÖ, die Quoten ablehnt, trägt dazu bei, dass Frauen im Wiener Gemeinderat nach wie vor im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil deskriptiv-quantitativ unterrepräsentiert sind. In manchen Wiener Bezirken ist die Geschlechterparität in den Bezirksparlamenten erreicht, doch gibt es nach wie vor Bezirke, vor allem die bevölkerungsreichen Randbezirke, in denen Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Weit geringer sind Frauen in den Entscheidungsgremien der Interessensvertretungen präsent, vor allem im Vergleich zu ihrem Mitgliederanteil.
Zum Zusammenhang von deskriptiv-quantitativer und substantieller Repräsentation von Frauen
Ob Repräsentantinnen die Interessen von Frauen vertreten, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Die Präsenz von Frauen in politischen Gremien („standing for“) ist keinesfalls gleichzusetzen mit der Vertretung von Fraueninteressen, der substantiellen Repräsentation („acting for“). „Frausein“ allein ist kein politisches Programm, wie bereits Johanna Dohnal und Ingrid Strobl konstatierten. Weibliche Repräsentanten sind auch in der österreichischen Parteiendemokratie eher ihrem Parteiprogramm denn einer weiblichen Wähler*innenschaft oder Interessensgruppen verpflichtet. Beispiele aus der österreichischen Politik veranschaulichen, dass ein steigender Frauenanteil nicht notwendig mit der Förderung von Gleichstellungspolitik und Genderkompetenz einhergeht (Celis/Childs 2008).
Dennoch ist die Präsenz von Frauen in politischen Entscheidungsgremien relevant: Gerade im Kontext von Diskriminierung und Exklusion werden persönliche Erfahrungen für die Artikulation und politische Berücksichtigung von Gruppeninteressen als wichtig erachtet, so die britische Politologin Anne Phillips (1995) [Anm. 6]. Zudem hat die Repräsentation unterschiedlicher Gruppen nicht nur Auswirkungen auf ihre inhaltliche Vertretung, sondern fördert soziale Gerechtigkeit und erwirkt symbolische Anerkennung. Politikerinnen können Vorbilder für junge Frauen sein, sich in der Politik zu engagieren, aber auch in anderen Bereichen der Gesellschaft und der Ökonomie.
Mehr Frauen in Wahlvorschlägen – aber weniger auf den prominenten vorderen Plätzen
Die Wahlvorschläge der politischen Parteien nehmen die unterschiedliche Repräsentanz der Frauen in den Wiener Parlamenten vorweg. Nicht alle Parteien platzieren Frauen entsprechend ihres Bevölkerungsanteils auf ihren Wahllisten zu Gemeinderatswahlen. Insgesamt weisen bei der Wahl 2020 weniger Parteien auf den vorderen Listenplätzen ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis auf als 2010 und 2015. Eine explizite Förderung von Frauen für die vorderen Ränge wird 2020 v.a. in der FPÖ und von den NEOS als nicht relevant erachtet; beide Parteien haben keine Geschlechterquoten in ihren Statuten. In der FPÖ hat dies dramatische Auswirkungen: Hier ist der Anteil von Kandidatinnen für die Gemeinderatswahl zwischen 2010 und 2020 auf niedrigem Niveau schwankend, er stieg nur leicht in 2015 und fällt 2020 wieder fast auf das Niveau des Jahres 2010. Insbesondere auf den vorderen zehn Plätzen sank der Frauenanteil 2020 auf deutlich unter ein Drittel (siehe Indikator B2.1 Frauenanteil in Wahlvorschlägen zur Gemeinderatswahl). Die NEOS platzieren auch ohne Quotenregelungen Frauen auf ihren Wahllisten. Für alle Parteien gilt, dass eine nur niedrige Platzierung von Frauen auf Wahllisten, insbesondere auf den ersten 10 Listenrängen, zu weiblicher Unterrepräsentation führt. Der Frauenanteil im Wiener Gemeinderat lag 2015 und 2020 bei nahezu allen Parteien, außer bei den Grünen, unter jenem der Wahllisten. Das Wiener Wahlsystem (Größe der Wahlbezirke, Vorzugsstimmen) sowie Nachrückungen tragen dazu bei, dass sich selbst eine leichte Listen-Unterrepräsentation im Gemeinderat auswirkt, auch wenn Frauen auf den ersten 10 Listenplätzen gut repräsentiert sind. Eine adäquate politische Repräsentation im Gemeinderat bedürfte einer Platzierung von Frauen auf ersten Listenplätzen sowie der Nachrückung durch eine Frau beim Ausscheiden einer Frau aus dem Gemeinderat.
Beharrlichkeit der geschlechtsspezifischen Segregation der politischen Themen
Als beharrlich erweist sich zudem die Segregation der politischen Themen, mit denen sich Frauen und Männer befassen: Frauen sind verstärkt in Gemeinderatsausschüssen tätig, die soziokulturelle Aufgaben wie Bildung, Soziales, Gesundheit oder Kultur betreffen. Mit einem Frauenanteil von 47% engagieren sich Frauen in diesem Bereich deutlich stärker als in Ausschüssen im Bereich Infrastruktur (32%) und Finanzen (26%). D.h. Frauen sind zwar zunehmend in politischen Gremien vertreten, doch dominieren Männer Bereiche mit hohen Budgetverantwortlichkeiten wie z.B. Stadtentwicklung und Verkehr oder Wohnbau und Stadterneuerung – auch wenn Frauen an den Spitzen der jeweiligen Ressorts stehen.
Wenig Fortschritt bei Partizipation von Frauen in den institutionellen Interessensvertretungen
In den institutionellen Interessensvertretungen gibt es eine Gruppe von gesetzlichen und freiwilligen Kammern, Fachgewerkschaften und Jugendvertretungen, in denen Frauen die Hälfte oder eine deutliche Mehrheit unter Funktionär*innen wie auch Mitgliedern stellen (sieben der 27 dargestellten Institutionen). Allerdings wiesen fünf der gesetzlichen Interessensvertretungen/Kammern 2013 im Präsidium keine einzige Frau auf; in fünf Interessensvertretungen lag der Frauenanteil der Vorstandsmitglieder nur bei rund 20%. In den Kammern änderte sich das Bild der Frauenrepräsentation bis 2021 nur gering. Zwar sind in sieben Kammern Frauen im Präsidium, allerdings nur in der Arbeiter- und der Apothekerkammer paritätisch. Noch immer ist in vier Kammern keine Frau im Präsidium repräsentiert. Seit 2013 hat sich die Repräsentation von Frauen in den Präsidien der Wiener Interessensvertretung, vor allem in Kammern mit geringem Frauenanteil, insgesamt verschlechtert.
In fünf der sieben Fachgewerkschaften waren 2016 keine 30% der Repräsentant*innen in Leitungspositionen Frauen, die Repräsentanz von Frauen in Leitungspositionen hat sich im Vergleich zu 2013 sogar verschlechtert. Allerdings zeigt sich, dass 2021 deutlich mehr Frauen in Leitungspositionen zu finden waren als 2013. In Fachgewerkschaften mit geringem Frauenanteil (GHB und PRO-GE) bleiben Frauen in Leitungspositionen jedoch nach wie vor eklatant unterrepräsentiert. Auch der Frauenanteil im Wiener ÖGB sowie bei Wiener Betriebsrät*innen ist im Vergleich zum Männeranteil gering und spiegelt die insgesamt geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen wider.
Auch in den Jugendvertretungen ist der Frauenanteil unter Funktionär*innen in einer der sechs dargestellten Vertretungen von 2013 bis 2016 auf unter 30% gesunken. 2021 liegt der Frauenanteil in allen Jugendvertretungen über 33%, doch nur die ÖH der Pädagogischen Hochschule hat einen Frauenanteil von über 50%, während der Frauenanteil in den ÖHs der Wiener Universitäten seit 2013 auf unter 50% gesunken ist und dies, obwohl Frauen die Mehrheit der Studierenden an Wiener Universitäten bilden. Diese Zahlen zeigen, dass politische Interessenrepräsentation keine Altersfrage ist: Auch in den Jugendvertretungen dominieren Männer, wenn auch Grund zur Hoffnung vorliegt, denn in der Landesschüler*innenvertretung ist seit 2013 ein kontinuierlicher Anstieg der Frauenrepräsentation feststellbar.
Eingeschränkte Zeitressourcen und Netzwerkaktivitäten als Hemmnisse für Frauen in der Politik, aber direkte Durchgriffsmöglichkeiten für Gleichstellung
Die unterschiedlich ausfallende Repräsentation von Frauen in den Interessensvertretungen und in den inhaltlichen politischen Gremien hängt mit der beruflichen Segregation auf dem Arbeitsmarkt und auch mit geringeren Zeitressourcen von Frauen zusammen (siehe Indikator D9 Berufliche Tätigkeiten - Horizontale Segregation). Diese Tatsache macht deutlich, dass politische Funktionen wie auch politisches Engagement Betätigungsfelder sind, in denen ähnliche Zugangshemmnisse für Frauen bestehen wie in beruflichen Spitzenpositionen sowie in Entscheidungspositionen der Wirtschaft. Eingeschränkte Zeitressourcen für Beruf und Netzwerktätigkeiten, weniger Erfahrungen im Wettkampf um Top-Positionen oder die geringere Attraktivität dieser Machtpositionen für Frauen, die mit all ihren sozialen Verpflichtungen und der damit einhergehenden medialen Aufmerksamkeit den Beruf zum Lebensstil machen, schränken den Zugang und die Bewerbungen von Frauen für politische Funktionen ein (OSCE/ODIHR 2014). Das Feld des Politischen ist nach wie vor auf fast allen Entscheidungsebenen und in allen gesellschaftlichen Entscheidungsbereichen männlich kodiert. Gleichzeitig hat (staatliche) Gleichstellungspolitik direkte Zugriffsmöglichkeiten auf diese Betätigungsbereiche, um gesellschaftspolitische Zielsetzungen wie paritätische Geschlechterrepräsentanz und gleiche Zugangschancen für Frauen und Männer durchzusetzen. Einzelne Beispiele in den Interessensvertretungen – z.B. die Kammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten oder die Gewerkschaft für Bau-Holz, bei denen die Funktionär*innen einen höheren Frauenanteil aufweisen als die Mitglieder – zeugen davon, dass der Frauenanteil durch spezifische Frauenförderung gestärkt werden kann.
Mehr Frauen in die Politik durch Frauenquoten?
Frauenquoten werden im europäischen Diskurs als zentrale Maßnahme zur Erhöhung der Frauenrepräsentation gesehen, da sie die Zugangschancen für Frauen in politische Entscheidungsgremien erhöhen (EIGE 2015). Die Beispiele aus Slowenien oder Frankreich, die gesetzlich verpflichtende Frauenquoten für Wahlen eingeführt haben, zeigen, dass der Frauenanteil auf diese Weise erhöht werden kann, auch wenn die Implementierung der Quoten in beiden Ländern nicht optimal funktioniert und Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung noch immer unterrepräsentiert sind (Lang/Meier/Sauer 2022).
Frauenquoten in der Politik werden in Österreich sehr oft emotional und ablehnend diskutiert und sind lediglich als Selbstverpflichtung der Parteien mit unterschiedlichen Zielwerten und mit unterschiedlichen Sanktionsmöglichkeiten in Parteisatzungen kodifiziert (die Grünen streben eine 50%-Vertretung von Frauen in Funktionen und Wahllisten an; die SPÖ mindestens eine 40%-Vertretung von Frauen und Männern in Wahlvorschlägen und bei Funktionär*innen; das Mindestquorum der ÖVP liegt inzwischen ebenfalls bei 40% Frauen; die FPÖ ist gegen eine Quotenregelung, die NEOS haben ebenfalls keine Frauenquoten, sprechen sich aber nicht explizit dagegen aus). Außer die Grünen konnte sich keine Partei auf eine Frauenquote einigen, die dem Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung entspricht. Die Erfahrungen mit Quotenregelungen zeigen, dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Parteien für Wahllisten nicht ausreichen und diese mit Regelungen hinsichtlich der abwechselnden Mandatsvergabe an Frauen und Männer (Reißverschlussprinzip) gekoppelt sein und um Frauenfördermaßnahmen wie z.B. Mentoring oder Vernetzungsaktivitäten ergänzt werden müssen. Zudem müsste die Gestaltung der Wahllisten dem österreichischen und Wiener Wahlsystem (mit einer vergleichsweise kleinen Wahlbezirksgröße) angepasst werden: Wenn nur ein oder zwei Personen, nämlich die Erst- und Zweitplatzierten, von einer Wahlliste eine Chance haben, ein Mandat zu erhalten, müssen diese beiden Positionen zumindest geschlechterparitätisch besetzt sein (Ahrens/Chmilewski/Lang/Sauer 2020). Die unterschiedlichen Frauenanteile in den politischen Gremien nach Parteien zeigen, dass Parteien sehr wohl einen Einfluss darauf haben, wieweit Wähler*innen auch durch Frauen repräsentiert werden. Zudem bestätigen die nicht hinterfragten Bundesländerquoten im österreichischen Parlament, dass das Prinzip der „repräsentativen Demokratie“, nach welchem alle Personengruppen gemäß ihrem Anteil in der Bevölkerung im Parlament repräsentiert sein sollen, zumindest für den regionalen Aspekt umsetzbar ist.
Politisches Engagement von Frauen
Das Feld des Politischen ist nach wie vor männlich dominiert, dies mindert auch die Bereitschaft von Frauen zu politischem Engagement. In allen Altersgruppen existiert ein Geschlechterunterschied in der politischen Partizipation – Männer sind politisch engagierter als Frauen. Der Geschlechterunterschied wird allerdings in der Altersgruppe der 45-64-Jährigen nahezu überwunden. Die politische Aktivität von in Wien lebenden Frauen hat jedoch zwischen 2013 und 2021 zugenommen. Der Prozentsatz der politisch engagierten Frauen ist in allen Altersgruppen gestiegen und liegt nun zwischen 47% und 49%. Bei den jungen Frauen der Altersgruppe bis 24 Jahre war der Anstieg mit 10%-Punkten am deutlichsten zu sehen; auch ältere Frauen über 65 Jahre sind deutlich politisch engagierter als in den Jahren zuvor. Wie 2013 ist auch 2021 die Altersgruppe der 45-64-Jährigen am politisch aktivsten. In dieser Phase wird für viele Frauen die Doppelbelastung durch Familienaufgaben weniger. Am unattraktivsten für Frauen ist ein politisches Engagement in einer Partei, hier sind die gatekeeper nach wie vor Männer, die kaum Strukturen etablieren, die Frauen zur Mitarbeit motivieren.
Schlussfolgerungen zu den Gleichstellungszielen für politische Partizipation und Repräsentation
Insgesamt zeigt die Entwicklung der Gleichstellungsindikatoren für politische Partizipation und Repräsentation eine leichte Erhöhung des Frauenanteils in der Wiener Landes-, Gemeinde- und Bezirkspolitik, aber wenig Veränderung in institutionellen Interessensvertretungen. Hinsichtlich der freiwilligen Selbstverpflichtung für Geschlechterquotenregelungen gibt es keine faktischen Veränderungen in den Parteien. Frauen sind in den Wahlvorschlägen der Parteien noch immer tendenziell weniger stark vertreten, vor allem weniger prominent auf den vorderen Plätzen. Hier könnte eine gesetzliche Quotenregelung oder ein Parité-Gesetz wie in Frankreich Abhilfe schaffen. Sichere Listenplätze könnten auch mehr Frauen motivieren, auf Wahllisten zu kandidieren. Eine gesetzliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte konnte in Österreich ja durchgesetzt werden. Die Berücksichtigung von Gender-Kompetenz und Gleichstellungs-Kriterien in Politik- und Gesetzgebungsprozessen ist mangels verfügbarer Daten schwieriger einzuschätzen. Weiterhin fehlen zudem Daten für die Gender-Kompetenz von politischen Entscheidungsträger*innen.